Flechten und Moose
Relevanz
Moose und Flechten sind charakteristische Bewohner von Waldbäumen, sie wachsen auf dem Waldboden sowie an Klein- und Sonderstandorten, die von höheren Pflanzen nicht besiedelt werden können (Balcar et al. 2005). Durch diese Besiedlung verschiedenster (Mikro)Lebensräume tragen die beiden Gruppen wesentlich zur Artendiversität in Waldökosystemen bei. Moose und Flechten sind aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften natürliche Messinstrumente. Sie erfassen als Bioindikatoren die Belastung von Schadstoffen aus der Atmosphäre, die historisch-ökologische Kontinuität von Wäldern, Klimafluktuationen, den Einfluss von Pflanzenschutzmitteln (Fungizide und Herbizide), die Umweltverträglichkeit von Waldbaumaßnahmen und ermöglichen einen Vergleich von unterschiedlich bewirtschafteten Wäldern. Moose und Flechten können somit ähnlich den Gefäßpflanzen als Zeigerarten genutzt werden (vgl. Waldartenliste; Schmidt et al. 2011).
Mangels Verdunstungsschutzmechanismen passen Moose und Flechten ihren Wassergehalt weitgehend dem Feuchtigkeitszustand ihrer Umgebung an (Cacciatori et al. 2022, Hylander et al. 2005). Sie sind dadurch auch sensible Indikatoren für die Veränderungen des Waldinnenklimas, ob durch Bewirtschaftung oder durch den Klimawandel bedingt (Stefańska-Krzaczek et al. 2022). Als Aufsitzerorganismen (Epiphyten) sind Moose und Flechten unmittelbar von der forstwirtschaftlichen Aktivität betroffen, wobei die als Substrat dienende Baumart (mit ihren vielfältigen Eigenschaften z. B. pH-Wert, Rauigkeit der Rinde) der wichtigste Treiber der Artenzusammensetzung beider Gruppen ist (Ódor et al. 2013, Emrich et al. 2025). Bewirtschaftungseffekte, d. h. die daraus resultierenden strukturelle Kriterien, wurden intensiv im Hinblick auf die Erhaltung von Moos- bzw. Flechtendiversität untersucht (z. B. Nascimbene et al. 2013, Hofmeister et al. 2015, Miller et al. 2020, Boch et al. 2021, Kaufmann et al. 2021, Ekholm et al. 2023, Mišíková und Mišík 2024) und können zukünftig zur Evaluierung genutzt werden. Einige neuere Studien nutzen Moose und Flechten bereits als Indikatoren für Waldbewirtschaftungsgradienten (Müller et al. 2019, Czerepko et al. 2021).
Flechten und Moose haben im Vergleich zu Gefäßpflanzen- und an Land lebenden Tierarten oftmals ein weites Verbreitungsgebiet. Viele Arten scheinen zu einer starken Ausbreitung fähig und damit zu einer schnellen Reaktion auf sich veränderndes Klima (Aptroot 2021). Großräumige Verbreitungsanalysen von Flechten- und Bryophtenarten (Pescott et al. 2015) oder ökologische Gilden (Farkas et al. 2022) zeigen sowohl großes Potenzial für die Indikation von Luftschadstoffen als auch für Klimaveränderungen. Insbesondere epiphytische Flechten sind seit langem als sehr sensible und verbreitet angewandte Indikatoren von Luftqualität bzw. Immission bekannt (Delves et al. 2023), langsames Wachstum und die Möglichkeit verschiedenste auch toxische Stoffe zu akkumulieren macht sie auch für die Analyse ökologischer Toxine interessant (Thakur et al. 2024).
Methodik und Praxistauglichkeit
Dominante und häufige Waldbodenmoose können als integraler Part der Vegetationsaufnahmen (400 m² siehe 9.1) abgesammelt und erfasst werden. Für den weitaus größeren Anteil der selteneren und spezialisierten Moos- und Flechtenarten, die einen wesentlichen Beitrag zur Biodiversität der Wälder, wie auch zur Differenzierung der Wirkung von Einflussgrößen beitragen, sind Erfassungen durch sowohl Moos- als auch Flechtenexperten erforderlich. Zum einen gibt es nur einzelne Kartierende, die das erforderliche Expertenwissen für beide Gruppen aufweisen, weiterhin kann sich die zu erfassende Fläche zwischen den Organismengruppen unterscheiden. Um die Komplexität des Lebensraums zu erfassen, bedarf es der Erhebung an verschiedenen Objekten, deren Verfügbarkeit die Waldbewirtschaftung aber auch den sich verändernden standörtlichen Einfluss widerspiegelt (Einflussgröße). Wo für die Erfassung von Substratspezialisten (Epiphyten, Totholz-, Gesteins- und Wurzeltellerbesiedler) eine Auswahl unter mehreren gleichwertigen Objekten (z. B. Bäume der gleichen Art und gleichen Alters, Stubben) getroffen werden muss, wird jeweils dasjenige mit der höchsten Artenvielfalt gewählt. Wegen der geringen Zahl ausgewiesener Spezialisten, erfolgt die Erfassung der Moose und Flechten rollierend im jeweiligen Turnus.
(1) Gesamtartenliste (400 m² Vegetationsaufnahme):
Die Gesamtartenliste ergibt sich aus den in den weiteren definierten Flächen- und Objekten, jeweils für Moose und Flechten getrennt.
‒ Erfassung und Sammeln von Belegen, aller Arten innerhalb der 400 m² Vegetationsaufnahme.
‒ Die Gesamtartenliste ergibt sich aus den Detailaufnahmen (s. 2.-6.).
(2) Moos- und Flechten-Subplots – Waldboden
Die 400 m² Vegetationsaufnahmefläche (vgl. Gefäßpflanzen) wird in vier Sektoren unterteilt. In jedem der Sektoren wird getrennt für die beiden Gruppen jeweils ein repräsentativer 1 m²-Subplot präferenziell (höchster Artenreichtum im Sektor) ausgewählt, ohne Sonderstandorte zu beachten (ohne Wege, Bäche o. ä.). Wegen der Konkurrenzschwäche von Moosen und Flechten gegenüber Gefäßpflanzen und der kleinflächigen Dynamik der Kraut- und Strauchschicht müssen die Subplots höchsten Artenreichtums in jedem Turnus neu festgelegt werden.
(3) Epiphyten am lebenden Baum
Innerhalb der 400m² Fläche werden jeweils vier lebende Bäume mit hohem Artenreichtum untersucht. Hierzu gehören zwingend:
‒ Das Baumindividuum mit dem größten BHD;
‒ Ein Individuum mit einem kleinen BHD;
‒ Ein Individuum der dominanten Baumart;
‒ Ein Individuum einer weiteren subdominanten Baumart (soweit vorhanden).
Es können für Moose und Flechten jeweils unterschiedliche Bäume gewählt werden. Für die Erhebung wird keine Aufnahmefläche abgegrenzt, sondern der gesamte Stamm vom Wurzelanlauf bis 1,80 m abgesucht.
Anstatt junger Bäume können auch Sträucher wie z. B. Sambucus nigra oder Salix aurita erfasst werden. Wegen der hohen Dynamik des Substrats (Alterung) können auch hier keine Dauerflächen angelegt werden, wenn Vergleichbarkeit bei zehnjährigen Untersuchungszyklen gewährleistet sein soll.
(4) Totholz
Umfasst (soweit vorhanden) die folgenden Strukturen, an denen wegen der Alterungsdynamik des Substrats keine Dauerbeobachtungsflächen angelegt werden können:
‒ ein liegender Stamm,
‒ ein Stubben,
‒ ein Hochstubben/ stehender toter Stamm.
‒ Für die beiden Artengruppen können unterschiedliche Strukturen gewählt werden.
(5) Gestein (soweit vorhanden)
Jeweils getrennt für Moose und Flechten
‒ ein Fels
‒ ein Block
‒ ein Stein > 10 cm Durchmesser
(6) Wurzelteller (soweit vorhanden)
Es wird jeweils ein Wurzelteller für eine 400 m² Vegetationsaufnahmefläche erfasst. Abgesucht werden sowohl der Wurzelteller als auch die entstandene Wanne.
(7) „Halo“-Ring
Im Umfeld (ca. 5 m breiter Ring), um 400 m² Vegetationsaufnahmefläche werden kursorisch alle weiteren Arten notiert und gesammelt. Hierbei ist eine zeitliche Begrenzung einzuhalten. Weil der Artenreichtum von Moosen und Flechten stark mit der Diversität verfügbarer Mikrohabitate variiert, kann anders als bei Gefäßpflanzen keine Höchstdauer des Schlaufenlaufs angegeben werden. Stattdessen wird mit einer Stoppzeit gearbeitet: Wenn nach fünf Minuten keine neue Art gefunden wurde, wird die Suche abgebrochen.
Nicht berücksichtigt bei der Erhebung werden Standorte, die nicht repräsentativ für den zu untersuchenden Standort oder die forstliche Bewirtschaftung sind. Beispielsweise Wege, die für die Erholungsnutzung ausgebaut wurden und nicht notwendigerweise die forstliche Bewirtschaftung reflektieren. Rückegassen oder Forststraßen werden, soweit in der 400 m² Aufnahmefläche liegend, als Teil der Gesamtartenliste erfasst. Für Sonderstandorte (z. B. Felswände, Gräben, Quellen, Bach) wird zusätzlich zum Herbarbeleg und im Aufnahmebogen das Substrat vermerkt.
Die jeweilige Gesamtdeckung der Moose sowie der Flechten auf jedem der genannten Objekte (s.o. 2.-6.) wird mithilfe einer fünfstufigen Schätzskala erfasst. Diese findet auch für die Schätzung der einzelnen Moosarten und Laubflechten Anwendung. Alle anderen Flechten werden ohne Abundanzangabe notiert und aufgesammelt.
Erhebungsflächen
Die Auswahl der Flächen erfolgt in Anlehnung an die der Gefäßpflanzenaufnahme. Sinnvoll sind die Erhebung von Moosen und Flechten im Rahmen von NaBioWald auf folgenden 468 Flächen, auf denen auch Gefäßpflanzen erfasst werden:
- 68 Level II Flächen wegen der umfangreichen Messreihen von Umweltparametern
- 200 Flächen aus der SPF
- 200 Zusatzflächen (Bewirtschaftungsgradient, ungenutzte Flächen).
Ein Monitoring auf gesamten 1800 BZE-Flächen, wie für die Gefäßpflanzen vorgesehen, ist wegen des erheblich höheren Aufwands für Geländeerfassung und Nachbestimmung und wegen des Mangels an geeigneten Fachleuten für Moose und Flechten ökonomisch und personell nicht durchführbar.
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